Donnerstag, 22. Januar 2015

Verwirkung des Unterhaltsanspruch trotz eines Titels



Das OLG Hamm hat in einer Entscheidung vom 17.03.2014, AZ 6 UF 196/13 zur Frage der Verwirkung eines titulierten Unterhaltsanspruch folgende Leitsätze erarbeitet.
1.

Auch titulierte Ansprüche auf Kindesunterhalt unterliegen der Verwirkung, wenn sie längere Zeit nicht geltend gemacht werden (Zeitmoment im vorliegenden Fall belief sich die Zeitdauer auf 2 ½ Jahre) und der Unterhaltsschuldner davon ausgehen durfte, dass eine Inanspruchnahme nicht mehr erfolgen wird (Umstandsmoment).

2.

Für das Umstandsmoment war vorliegenden Fall ausreichend, dass der Unterhaltsberechtigte einen über einen bestimmten Zeitraum aufgelaufenen Unterhaltsrückstand nicht geltend macht, hingegen Rückstände aus anderen Zeiträumen durchgehend thematisierte.

3.

Besteht hinsichtlich der Unterhaltsansprüche Beistandschaft des Jugendamtes, muss sich das unterhaltsberechtigte Kind dessen Verhalten in der Unterhaltsauseinandersetzung zurechnen lassen.
 
Aus den Entscheidungsgründen


Weder der Umstand, dass der Unterhalt im Streitfall tituliert war noch der Umstand, dass es sich um Kindesunterhalt handelt, hindert die Verwirkung. Vielmehr unterliegt auch titulierter rückständiger Kindesunterhalt der Verwirkung, wenn sich seine Geltendmachung unter dem Gesichtspunkt illoyal verspäteter Rechtsausübung als unzulässig darstellt. Dieser zunächst für nicht titulierte Ansprüche aufgestellte Grundsatz erfährt auch für titulierte Ansprüche - deren Durchsetzung mit Hilfe des Titels eher näher liegen dürfte als bei nicht titulierten Forderungen - keine Einschränkung. Dies gilt auch für den Kindesunterhalt. Denn der Umstand, dass die Verjährung der Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes gegenüber seinen Eltern bis zur Volljährigkeit des Kindes gehemmt ist (§ 204 S. 2 BGB), steht der Annahme einer Verwirkung der Ansprüche während der Dauer der Minderjährigkeit dann nicht entgegen, wenn aus besonderen Gründen das Recht auch nach den allgemeinen Grundsätzen verwirkt ist (BGH FamRZ 199,1422; OLG Naumburg FamRZ 2010, 1090; OLG DresdenFamRZ 2009, 1930).

Ein Recht ist nach allgemeinen Grundsätzen verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre (Zeitmoment), und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und nach der Lebenserfahrung eingerichtet hat, dass dieses Recht auch zukünftig nicht eingefordert werde (Umstandsmoment), (vgl. nur BGHNJW 2006,219 ...).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe sind die Unterhaltsansprüche des Antragsgegners aus dem Jahr 2005 verwirkt. Die Voraussetzungen der Verwirkung sind sowohl hinsichtlich des dem Antragsteller geltend gemacht, damit ist das Zeitmoment erfüllt.

Auch das Umstandsmoment ist zu bejahen. Wenn auch das Jugendamt zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich auf die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche aus 2005 verzichtet hat, so durfte der Antragsteller aufgrund des von Juli 2005 bis Januar 2008 geführten Schriftverkehrs und des in 2006/2007 geführten Abänderungsverfahrens davon ausgehen, dass eine Inanspruchnahme wegen dieser Rückstände nicht mehr erfolgen wird. Denn das Jugendamt hat dem Antragssteller nach Einreichung seiner Einkommensbelege mit dem Schreiben vom 18.07.2005 mitgeteilt, dass es zunächst damit einverstanden sei, wenn er einen monatlichen Unterhalt von 100,00 € leiste und hat in der Folgezeit bis Januar 2011 weder im außergerichtlichen Schriftverkehr noch in dem 2006/2007 geführten Abänderungsverfahren einen angeblichen Unterhaltsrückstand aus dem Jahr 2005 thematisiert.  ... Soweit der Antragsgegner einwendet, der Rückstand aus 2005 sei mangels Leistungsfähigkeit des Antragstellers über diesen langen Zeitraum nicht geltend gemacht worden, so hätte dies mindestens gegenüber dem Antragssteller kommuniziert werden müssen.

Im Übrigen hat das Jugendamt der Stadt F auch nach seiner ersten Anmahnung mit Schreiben vom 30.01.2008 und der Androhung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen mit Schreiben vom 19.2.2009 wiederum über einen Zeitraum von rund zwei Jahren - nämlich in der Zeit vom 20.02.2009 bis 27.07.2011 - hinsichtlich des Unterhaltsrückstandes aus 2005 nichts veranlasst. Erst wieder mit Schreiben vom 27.07.2011 hat es an den betreffenden Unterhaltsrückstand erinnert. Spätestens durch diese erneute Untätigkeit des Jugendamtes sind die Unterhaltsansprüche verwirkt; der Antragsgegner muss sich das Verhalten des Jugendamtes in den Jahren, in denen die Beistandschaft bestand, zurechnen lassen, weil das Jugendamt gesetzlicher Vertreter des Antragsgegners, §§ 1716 Satz 2, 1915 Abs. 1, 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB war.

Daneben hätte auch die Kindesmutter als weitere gesetzliche Vertreterin des Kindes neben dem Jugendamt den rückständigen Unterhalt einfordern können und müssen. Selbst nach Beendigung der Beistandschaft des Jugendamtes ist sie aber über einen Zeitraum von 1 Jahr und 4 Monaten untätig geblieben. Nachdem der Antragsteller nach Beendigung der Beistandschaft des Jugendamtes mit Schreiben der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners vom 22.08.2011 darauf hingewiesen wurde, dass noch ein Unterhaltsrückstand aus dem Jahr 2005 bestehe und die Zahlung dieses Rückstandes beansprucht werde, ist erst am 18.01.2013 der Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt worden. In dem zwischenzeitlich geführten weiteren Abänderungsverfahren sind - ebenso wie im ersten Abänderungsverfahren - die Rückstände aus dem Jahr 2005 erneut nicht einbezogen worden.

Anmerkung:

Unklar bleibt allerdings nach dem Urteil, was gilt, wenn davon auszugehen ist, dass die Vollstreckung erfolglos sein wird, weil der Unterhaltsschuldner vermögenslos ist bzw. dies vermutet wird.

Hier gilt folgende Empfehlung. Solange keine konkrete gerichtliche Entscheidung vorliegt sollte zumindest seitens des Unterhaltsberechtigten gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten ein schriftlicher Hinweis erfolgend, dass die Durchsetzung aus diesem Grund derzeit nicht vollstreckt wird.