Problem – Kettenbefristung – bei Arbeitsverträgen
Es ist im allgemeinen rechtlich zulässig, befristete Arbeitsverhältnisse auch mehrfach hintereinander zu vereinbaren.
Wann können Arbeitnehmer gegen eine Kettenbefristung vorgehen?
Wenn Sie als Arbeitnehmer längere Zeit hintereinander mit immer wieder erneuerten, hintereinander vereinbarten Sachgrundbefristungen beschäftigt sind, kann es sein, dass Ihr Arbeitsvertrag nur scheinbar befristet ist, in rechtlicher Sicht aber ein unbefristeter Vertrag vorliegt.
Für die Frage, ob eine solche fortdauernde Befristung wirksam ist oder nicht, kommt es auf den Sachgrund für die letzte Befristung an. Arbeitnehmer müssen daher, wenn sie die Wirksamkeit der Befristung in Zweifel ziehen, Gründe für die Unwirksamkeit der zuletzt vereinbarten Befristung finden. Eine mögliche Unwirksamkeit der in vorangegangenen Zeitverträgen enthaltenen Befristungen interessiert rechtlich nicht dann nicht mehr.
Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steigt mit zunehmender Anzahl der hintereinander geschalteten, auf Sachgründe gestützten Befristungen und mit zunehmender Dauer der gesamten Vertragszeit die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Arbeitgeber die gesetzlich gegebene Befristungsmöglichkeit missbräuchlich eingesetzt hat, um seine Interessen einseitig und auf Kosten des Arbeitnehmerinteresses an einer unbefristeten Beschäftigung durchzusetzen.
Hierzu hat das BAG mit Urteil vom 18.07.2012, AZ: 7 AZR 443/09 (Kücük-Urteil)folgende Leitsätze aufgestellt:
Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nach § 14 II Satz 2 Nr,3 TzBfG nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds der Vertretung beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, alle Umstände des Einzelfalls und dabei namentlich die Gesamtdauer und die Zahl der mit derselben Person zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen, um auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen.
Hieraus leiten sich folgende Leitsätze ab:
a) Der die Befristung rechtfertigende sachliche Grund liegt in Fällen der Vertretung darin, dass für die Wahrnehmung der Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis besteht, weil der Arbeitgeber an den vorübergehend ausfallenden Mitarbeiter, dem die Aufgaben an sich obliegen, rechtlich gebunden ist und er mit dessen Rückkehr rechnet.
b) Der Sachgrund liegt zum einen vor, wenn der befristet zur Vertretung eingestellte Mitarbeiter die vorübergehend ausfallende Stammkraft unmittelbar vertritt und die von ihr bislang ausgeübten Tätigkeiten erledigt. Der Vertreter kann aber auch mit anderen Aufgaben betraut werden. Dabei muss allerdings sichergestellt sein, dass die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers wegen des Arbeitskräftebedarfs erfolgt, der durch die vorübergehende Abwesenheit des zu vertretenden Mitarbeiters entsteht.
c) Werden dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer Aufgaben übertragen, die der vertretene Mitarbeiter nie ausgeübt hat, besteht der erforderliche Kausalzusammenhang, wenn der Arbeitgeber rechtlich und tatsächlich in der Lage wäre, dem vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer im Falle seiner Anwesenheit die dem Vertreter zugewiesenen Aufgaben zu übertragen. In diesem Fall ist erforderlich, dass der Arbeitgeber bei Vertragsschluss mit dem Vertreter dessen Aufgaben einem oder mehreren vorübergehend abwesenden Beschäftigten nach außen erkennbar gedanklich zuordnet; dies kann insbesondere durch eine entsprechende Angabe im Arbeitsvertrag geschehen.
d) Ein ständiger Vertretungsbedarf steht dem Vorliegen eines Sachgrunds im Sinne von § § 14 II Satz 2 Nr,3 TzBfG nicht entgegen; er ist insbesondere nicht durch eine Personalreserve aus unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern auszugleichen. Entscheidend ist allein, ob bei Abschluss der Befristungsabrede ein Vertretungsfall vorlag. Eine zur Unwirksamkeit der Befristung führende “Dauervertretung” liegt hingegen vor, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht lediglich zur Vertretung eines bestimmten, vorübergehend an der Arbeitsleistung verhinderten Arbeitnehmers eingestellt wird, sondern bereits bei Vertragsschluss beabsichtigt ist, ihn für eine zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht absehbare Vielzahl von Vertretungsfällen auf Dauer zu beschäftigen.
e) Allein die große Anzahl der mit einem Arbeitnehmer abgeschlossenen befristeten Arbeitsverträge oder die Gesamtdauer der “Befristungskette” führen nicht dazu, dass an den Sachgrund der Vertretung “strengere Anforderungen” zu stellen sind. Gleiches gilt für die Anforderungen an die Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des vertretenen Mitarbeiters, die nach der Rechtsprechung des Senats Teil des Sachgrunds der Vertretung ist.
2. Nach den Vorgaben des Gerichtshofs ergänzt der Senat diese Grundsätze um folgende Grundsätze zur Kontrolle eines institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB):
a) Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds der Vertretung beschränken. Sie müssen zusätzlich alle Umstände des Einzelfalls prüfen und dabei namentlich die Gesamtdauer und die Zahl der mit derselben Person zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge berücksichtigen, um auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen.
b) Jedenfalls bei einer Gesamtdauer von mehr als elf Jahren und 13 Befristungen ist eine missbräuchliche Gestaltung indiziert, während in der am selben Tag vom Senat entschiedenen Sache – 7 AZR 783/10 – bei einer Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten und vier Befristungen Anhaltspunkte für einen Gestaltungsmissbrauch noch nicht vorliegen.
Somit können Sie als Arbeitnehmer die Frage der Rechtmäßigkeit der Befristung gerichtlich mit einer Befristungskontrollklage überprüfen lassen. Hierbei wäre folgende Reihenfolge zu prüfen:
- in einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob ein Sachgrund für die zuletzt vereinbarte Befristung vorliegt (falls nicht, ist die Befristung unwirksam),
- und in einem zweiten Schritt (falls ein Sachgrund für die zuletzt vereinbarte Befristung gegeben ist) eine Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen: Falls bei dieser Abwägung aufgrund der langen Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses und der Häufigkeit der Vertragsverlängerungen dem Arbeitgeber eine Entfristung zuzumuten ist und das Interesse des Arbeitnehmers an einem unbefristeten Vertrag daher überwiegt, liegt ein Missbrauch vor und die Befristung ist (trotz eines Sachgrundes für die letzte Befristung) unwirksam.
Während es nach dem Kücük Urteil des BAG zunächst so aussah, als käme eine Missbrauchskontrolle erst dann in Betracht, wenn die Gesamtdauer der Beschäftigung zehn Jahre oder länger ist und wenn zehn oder mehr Zeitverträge hintereinander geschaltet wurden, hat das BAG 2013 zugunsten der Arbeitnehmerseite entschieden, dass bereits ab einer Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von sechs bis sieben Jahren eine Missbrauchskontrolle vorgenommen werden muss (BAG mit Urteil vom 18.07.2012, AZ: 7 AZR 443/09).
Aus Arbeitnehmersicht heißt das: Wer sechs Jahre oder länger auf der Grundlage sachgrundbefristeter Arbeitsverträge beschäftigt wird, sollte sich gemeinsam mit einem Anwalt überlegen, ob eine Befristungskontrollklage ratsam ist.